Liebes-Lettern

Wie beiläufig, beim Umblättern der Buchseiten, habe ich Dein B berührt. Man hatte Dich mir als Type geschildert, der man in allen Bibliotheken begegnet: sehr belesen, doch eher unscheinbar, von etwas altmodelnder Art. Mir aber gefiel Deine Anmutung, kleine Antiqua. Nicht zu verschweigen Deine weiblichen Rundungen, Deine Os und Dein verlockendes V, das sich mit deutlichem Duktus durch das feine Dünndruckpapier wie in seidenen Dessous abdrückte. Mein Puls beschleunigte seine Frequenz. Wieder wollte ich Dich berühren. Und konnte kaum den Windstoss erwarten, der meine Textseite zu Dir zurückblies. Was nur sollte ich sagen, während Du mich mit Deinen ausdrucksvollen As ansahst? Vielleicht zunächst ein sachliches Gespräch über die Vorzüge der Links- oder Rechtsbündigkeit mit Dir beginnen. Ganz unauffällig konnte ich so Deine schlanken Ober- und Unterlängen studieren und den Anblick Deiner zierlichen Füsschen und Serifen geniessen. Nach einer gewissen Laufweite fasste ich mir ein Herz, Dich zu einem Zwiebelfisch-Imbiss einzuladen. Wir schlürften alten Linotype-Wein aus schlanken Versalien. Und unsere Gefühle wurden tiefer, unsere Haltung kursiver. "Ach, ich wünsche mir", hauchtest Du, "einen süssen, kleinen Schusterjungen von Dir." "Hoffentlich", dachte ich, "wird es kein Hurenkind!"